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Der 9.11.1938 ging als die Reichspogromnacht in die Geschichte ein. Die Schülerinnen und Schüler des Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasiums befassten sich mit den Ereignissen, die sich an jenem Tag konkret in Hilden ereigneten sowie mit den Folgen der Reichspogromnacht für die deutsche und europäische Geschichte: „Der 9. November 1938 markiert den drastischen Wendepunkt von latenter Diskriminierung und Feindseligkeit hin zur offenen, eklatanten und organisierten Gewalt.“

„Die Reichspogromnacht steht für die Verwüstung und Zerstörung jüdischen Eigentums, der Existenzgrundlage von Menschen und Synagogen. Jüdische Menschen wurden durch SA- und SS-Schläger misshandelt und getötet.“

„In jener Nacht wurden hier in Hilden 7 Menschen ermordet, was gemessen an der Einwohnerzahl die höchste Quote in Deutschland war.“

„Die Reichspogromnacht war nur der Anfang der grausamen Massenverfolgung und Massenermordung von Jüdinnen und Juden in Europa.“

Der Gedenkveranstaltung in der Aula des DBG ging eine Recherche-Arbeit voran. Es war den Schülerinnen und Schülern ein Anliegen, nicht bloß im Allgemeinen an die Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken, sondern sich mit einzelnen Schicksalen zu befassen, Hildener Jüdinnen und Juden namentlich zu erwähnen und ihre Geschichten zu teilen. Eine weitere Geschichte wurde von dem Kollektiv „Rimon“ theatralisch dargeboten. Die Inszenierung erzählt das Überleben des kleinen Josefs, der während des Zweiten Weltkriegs untertauchen musste und seiner Familie entrissen wurde, so wie es Eric Emmanuel Schmitt in seinem Roman „Ein Kind von Noah“ beschreibt. 

Dem Theaterstück folgten eine Gedenkrede sowie eine Minute des Schweigens in stiller Trauer. Im anschließenden Gespräch mit den Schauspielern brachten die Schülerinnen und Schüler ihre tiefe Betroffenheit zum Ausdruck sowie die Hoffnung auf eine friedliche, bessere Welt. Das Gedenken an die Opfer von damals ist keine unilaterale Zuwendung. Denn damals haben diese Menschen ihre Gedanken auf die Zukunft und damit auf uns gerichtet. Manche blickten mit Verzweiflung, Manche sahen nur Dunkelheit, Manchen gab der Gedanke an die Zukunft die Kraft zu überleben und wieder andere projizierten angesichts des Todes ihre Hoffnung auf eine bessere Welt in die Zukunft, unsere Gegenwart. Deswegen tragen wir heute eine besondere Verantwortung: wir sind die Hoffnungsträger jener Menschen, die ihren Blick auf die Zukunft und damit auf uns richteten.

 

 

Recherche zu Familie Meyer:

Ich möchte euch die Geschichte der wohlhabenden jüdischen Kaufmannsfamilie Meyer vorstellen. Leo Meyer wohnte mit seiner Frau Minna und der Stieftochter Edith direkt neben

seinen Eltern Nathan und Maria auf der Gerresheimer Straße.In der Reichspogromnacht drangen die Schlägertrupps in ihre Häuser ein und misshandelten die Familie so schwer, dass Nathan Meyer wenig später im Krankenhaus starb. Während Leo Meyer anschließend in Belgien untertauchen konnte, wurden seine Frau und seine Stieftochter deportiert und in Minsk vermutlich ermordet.Mich hat an dem Schicksal der Familie die Brutalität, mit der die Nationalsozialisten vorgegangen sind, schockiert. Sie schreckten nicht davor zurück, den schlafenden und damit wehrlosen Nathan Meyer zu verprügeln und sogar einen Schrank auf ihn zu werfen. Außerdem zeigt das Schicksal der Familie Meyer, dass direkt nach Kriegsende keine Bereitschaft in der Hildener Bevölkerung bestand, dieses dunkle Kapitel der Stadtgeschichte aufzuarbeiten. Leo Meyer kehrte zwar nach Hilden zurück, starb jedoch zermürbt und entkräftet 1953 im Alter von gerade einmal 58 Jahren.

 

Recherche zu Familie Herz:

Bertha Herz war das erste Opfer der Nacht des 9. November. Zu dem Zeitpunkt waren sie und ihr Mann Sigmund 68 Jahre alt. Sigmund war Frontsoldat im 1. Weltkrieg gewesen, wofür ihm die Ehrenmedaille verliehen wurde. Sie betrieben auf der heutigen Benrather Straße eine Metzgerei und hatten 25 Jahre im Gesangsverein Germania gesungen. Sie lebten ein durchschnittliches Hildener Leben und waren hier zu Hause, wie du und ich.
Zuerst zwang man sie 1933 durch das Schächtverbot, ihre Metzgerei zu schließen, sie verarmten. Dann, in der Nacht des 9. November, war das Haus der Familie Herz das erste Ziel der Nazis. Es ist nur bekannt, dass Bertha Herz aus dem Fenster stürzte; ihre Familie sollte noch bis Dezember 1941 in Hilden wohnen bleiben. Mit der Deportation von Sigmund Herz nach Theresienstadt waren alle Hildener Juden vertrieben, deportiert oder ermordet, woraufhin der Bürgermeister Hilden feierlich für judenfrei erklärte. Darin spiegelt sich für mich der ganze Menschenhass des Nationalsozialismus wider. Die Hildener Juden waren keine Fremdkörper, keine Schmutzflecken, von denen man sich frei machen musste. Sie waren Nachbarn und Mitbürger.

Recherche zu Familie Sommer:

Ich möchte heute an das Schicksal des Ehepaars Sommer und ihrer Haushaltshilfe Hendrika Grüter gedenken. Dr. Siegmund Sommer und seine Frau Gertrud sind aufgrund des jüdischen Glaubens von Dr. Sommer in der Reichspogromnacht Opfer des NS-Terrors geworden. Gertrud war Katholikin und wohnte gemeinsam mit ihrem Mann in der weißen Villa an der Gerresheimer Straße 340, die bestimmt viele von euch kennen. Dort hatte Dr. Sommer auch seine Arztpraxis und praktizierte über 40 Jahre in Hilden als Arzt. In der Reichspogromnacht drangen SA und SS-Anhänger in die Villa des Ehepaares ein, verwüsteten und zerstörten diese, sperrten sie in ihr Schlafzimmer ein und drohten ihnen, dass sie ihr Zuhause bis morgen verlassen müssten, da sie ansonsten alles niederbrennen würden. Das Ehepaar beschloss in seiner Verzweiflung, sich das Leben mithilfe einer Überdosis Schlaftabletten zu nehmen. Doch zuvor informierten sie ihre Haushaltshilfe und boten ihr an, alles zu erben, alles, wofür sie ihr ganzes Leben hart gearbeitet hatten. Hendrika Grüter lehnte jedoch ab und entschloss sich, stattdessen ihren Arbeitgebern in den Freitod zu folgen, denn sie könne nicht unter solchen Menschen weiterleben. Nach fünf Tagen im Krankenhaus verstarb Hendrika an der Überdosis im Alter von 45 Jahren. Dr. Siegmund Sommer wurde der Aufenthalt im Krankenhaus durch einen eintreffenden Notarzt verwehrt, er fiel für drei Tage ins Koma und verstarb. Er wurde 68 Jahre alt. Nur Gertrud Sommer überlebte die Überdosis knapp, wie ihr weiteres Schicksal aussah, ist leider nicht bekannt. Ich habe mich dazu entschlossen euch vom Ehepaar Sommer und Hendrika Grüter zu erzählen, weil mich ihr Schicksal sehr berührt hat. Dr. Sommer war ein hoch angesehenes Mitglied der Hildener Gesellschaft und dass er für sich selbst nur noch den Selbstmord als Ausweg gesehen hat, schockiert mich zutiefst. Auch Hendrikas Entschluss, sich das Leben zu nehmen, obwohl sie durch das Regime als “Arierin” nicht diskriminiert oder verfolgt wurde, finde ich unfassbar. Ihr Handeln kann, meiner Meinung nach, als Widerstand gewertet werden, denn sie hat sich entschlossen, aktiv zu handeln und nicht eine Mitläuferin oder Täterin des Nationalsozialismus zu werden.